1.600 engagierte Pflegekräfte gesucht

Wer sich heute für eine Ausbildung in der Pflege und Betreuung entscheidet, hat damit quasi eine Job-Garantie in der Tasche. Die Menschen werden immer älter, deshalb steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Und damit wächst der Bedarf an qualifiziertem Personal.
Interview mit Birgit Gerstorfer MAS, Soziallandesrätin Oberösterreich
Das Sozialressort umfasst Altenbetreuung und –pflege, Menschen mit Beeinträchtigungen, Sozialberatung, Schuldnerberatung,
Freiwilligenarbeit, Sucht- und Alkoholberatung sowie Wohnungslosenhilfe. Zudem ist Gerstorfer politisch verantwortlich für die Kinder- und Jugendhilfe, Gemeinden und Tierschutz.
Sie haben die Karrieremesse von Anfang an unterstützt. Warum braucht Oberösterreich die CONNECT und welche positiven Wirkungen erwarten Sie?
Der drohende Mangel an Personal in den Sozial- und Gesundheitsberufen ist ein mittlerweile viel diskutiertes Thema, das nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch hohe Brisanz aufweist. Bereits jetzt können bestehende Heimplätze wegen fehlendem Personal nicht belegt werden.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird landesweit von derzeit rund 80.000 auf zirka 126.000 im Jahr 2040 steigen. Wenn die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt, dann brauchen wir auch entsprechend viele zusätzliche Fachkräfte. Alleine in den nächsten sieben Jahren werden 1.600 zusätzliche Vollzeitkräfte in der Pflege benötigt.
Deshalb ist es dringend notwendig, alles zu tun, um in den nächsten Jahren genügend ausgebildetes Personal zur Verfügung zu haben. Dies kann nur gelingen, wenn es gemeinsame Anstrengungen seitens der Oberösterreichischen Landesregierung gibt und eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, die Interessierten eine Ausbildung in der Pflege ermöglichen.
Die Karrieremesse der Sozialwirtschaft kann dazu beitragen, mehr interessierte und engagierte Menschen für dieses Berufsbild zu gewinnen.
Die Sozialwirtschaft hat eine Phase der Entwicklung und Professionalisierung hinter sich. Welche Anforderungen müssen Mitarbeiter*innen Ihrer Ansicht nach heutzutage erfüllen?
Der Beruf erfordert viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Auch die psychische Anforderung darf nicht unterschätzt werden, weil der Umgang mit kranken oder gar sterbenden Menschen eine ziemliche Belastung darstellen kann.
Darüber hinaus müssen Beschäftigte in der Sozialwirtschaft kommunikativ sein, hohe soziale Kompetenz aufweisen und mit den ethischen Grundsätzen vertraut sein. Selbstverständlich ist auch enormes fachliches Wissen gefragt.
Das heißt, der Pflegeberuf ist enorm spannend, abwechslungsreich und sinnstiftend, weil man immer mit Menschen zu tun hat.
Welche Maßnahmen wurden und werden im Bereich Sicherung der Pflegedienstleistungen gesetzt?
Ich habe im Herbst ein starkes Programm für Pflege präsentiert, das im Wesentlichen diese fünf Punkte beinhaltet.
Flexiblere Ausbildungsangebote. Die Ausbildungsangebote müssen individueller gestaltet werden. Es braucht maßgeschneiderte Ausbildungsbedingungen für alle Zielgruppen – von den Berufsumsteiger*innen über Personen mit Kinderbetreuungspflichten bis zu Migrant*innen. Mit dem neuen Lehrgang „Junge Pflege“ ist es erstmals möglich, Pflichtschulabgänger*innen für den Pflegeberuf vorzubereiten.
Pflegekräfteagentur. Über eine Pflegekräfteagentur soll Personal gesteuert und vermittelt werden.
Pflegestipendium. Ein Pflegestipendium (Fachkräftestipendium) soll die Ausbildung oder einen Wechsel attraktiver machen. Speziell Frauen können sich einen Umstieg in einen Pflegeberuf schlichtweg nicht leisten, obwohl sie gerne einen Pflegeberuf ergreifen würden.
Neue Wohnformen. Wir wollen Klein-Wohnungen für Pflegebedürftige errichten, deren Pflegebedarf von Stufe 1 bis 3 reicht. Es gibt täglich acht bis zwölf Stunden professionelle Betreuung vor Ort, die individuell Unterstützung und Sicherheit bietet. Bis 2025 besteht in Oberösterreich ein Bedarf an rund 1.300 dieser Wohnungen.
Unterstützung und Entlastung pflegender Angehöriger. 8 von 10 Pflegebedürftigen leben im familiären Umfeld. Pflegende Angehörige leisten tagtäglich eine sozialpolitisch und gesellschaftlich wertvolle Arbeit. Es braucht eine gesamthafte Offensive zur Stärkung von Pflegenden Angehörigen. Konkret ist es nötig, die mobilen Dienste auszubauen, verstärkt Beratung anzubieten und zusätzliche Angebote der Kurzzeitpflege und Tagesbetreuung zu schaffen.
Müsste man das Thema Pflege nicht insgesamt größer denken und endlich breit über eine Pflichtversicherung – ähnlich den Themen Pension, Krankheit oder Arbeitslosigkeit diskutieren?
Absolut. Ich bin überzeugt davon, mittelfristig kann nur eine Pflegepflichtversicherung eine qualitative Pflege für alle Menschen garantieren. Daran wird kein Weg vorbei führen. Mit einer Pflegemilliarde ließe sich da sehr vieles umsetzen. Aber die wird es mit dieser Regierung nicht geben.
Bei CONNECT sind Dienstgeber*innen aus allen oö. Bezirken vertreten. Wieso sind dezentrale soziale Angebote für die Menschen wichtig?
Die meisten Menschen haben grundsätzlich das Bedürfnis, in ihrer gewohnten Umgebung zu leben. Es ist doch schön, wenn Verwandte und Freund*innen immer in der Nähe sind, für ein Plauscherl, für ein tröstendes Wort, für eine Kartenpartie oder was auch immer. Nähe zu jenem Ort, an dem man seine Wurzeln hat, bedeutet gleichzeitig ein hohes Maß an Lebensqualität. Deshalb unterstütze ich als Soziallandesrätin auch alle Bemühungen und Anstrengungen, dezentrale Strukturen zu erhalten und auszubauen.